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Gesetzliche Vorgaben und Relevanz des Themas

In Deutschland ist die Masernimpfung durch das Infektionsschutzgesetz (IfSG) in Kitas und Schulen gesetzlich vorgeschrieben. Doch was geschieht, wenn medizinische Gründe gegen eine Impfung sprechen? In solchen Fällen fordert das Gesetz die Vorlage eines Kontraindikationsattestes. Diese Situation stellt nicht nur Eltern und Kinder, sondern auch Ärzte vor eine Herausforderung. Ärzte befinden sich in einer schwierigen Lage zwischen ihrer medizinischen Verantwortung und der Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen, da klare rechtliche Vorgaben fehlen.

Ziel des Beitrags

In diesem Beitrag möchte ich Ihnen erläutern, warum es wichtig ist, sich von Ihrem Arzt bestätigen zu lassen, dass er aufgrund der unsicheren Sach- und Rechtslage keine Kontraindikation bestätigen kann. Zudem sollten Ärzte die Gesundheitsämter auf diese problematische Situation hinweisen. Ich stelle Ihnen kostenlose Mustertexte am Ende des Beitrags zur Verfügung.


1. Rechtliche Grundlagen

Gesetzliche Vorgaben

Das Gesetz fordert die Vorlage eines Kontraindikationsattestes, gibt jedoch keine klaren Richtlinien für dessen Ausstellung.

Rolle der RKI-Liste

Das Robert Koch-Institut (RKI) hat eine Liste von Kontraindikationen veröffentlicht. Aber ist diese Liste abschließend? Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass gesetzliche Regelungen zu Kontraindikationen nicht möglich sind:

„Es ist der Eigenart des hiermit angesprochenen Sachgebiets geschuldet, dass der Gesetzgeber mögliche medizinische Kontraindikationen – abgesehen von einer frühen Schwangerschaft (vgl. § 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG) – nicht aufführt, da diese nur anhand der jeweiligen individuellen medizinischen Vorgeschichte und Konstitution und den danach bestehenden Risiken beurteilt werden können.“

BVerfG 27.04.2022, – 1 BvR 2649/21 -Rn. 145

Behördliche Entscheidungen

Es gibt zahlreiche Fälle, in denen Behörden ein vorgelegtes Kontraindikationsattest nicht akzeptieren, weil die Kontraindikation nicht auf der RKI-Liste steht. Dies hat oft schwerwiegende Folgen für die Betroffenen.

Medizinethische Grundsätze

Was ist mit dem althergebrachter medizinethischer Grundsatz „primum non nocere“? Hieraus abgeleitet ist in unklaren und Verdachtssituation, wenn die Möglichkeit eines Schadens durch die Behandlung besteht, von dieser Behandlung (ggf. vorläufig) abzusehen.

2. Erhalt eines Attestes fast unmöglich

Strafrechtliche Konsequenzen

Die Angst der Ärzte vor strafrechtlicher Verfolgung ist groß, was dazu führt, dass kaum noch Kontraindikationsatteste ausgestellt werden.

3. Dilemma der Eltern

Eltern, die kein Kontraindikationsattest erhalten, sehen sich z.B. Bußgeldverfahren oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausgesetzt, in denen die Richter ihnen oft nicht glauben, dass die Ärzte aufgrund der unklaren Rechtslage kein Kontraindikationsattest ausstellen.

4. Musterschreiben

Zweck und Verwendung

Ich habe Musterschreiben erstellt, die Sie an Ihre behandelnden Ärzte/ Kinderärzte senden können. Diese sollen dazu dienen, die Unsicherheit in diesem Bereich deutlich zu machen und als Nachweis im Bußgeldverfahren dienen.


Zusammenfassung und Aufruf

Wir stehen vor einer komplexen Problematik, die eine klare rechtliche und medizinische Klärung erfordert. Je mehr Ärzte und Betroffene auf diesen Missstand hinweisen, desto eher wird eine Lösung gefunden. Teilen Sie uns gerne Ihre Erfahrungen in den Kommentaren mit.

Bitte beachten Sie, dass es sich hier um allgemeine Muster handelt, welche meine Rechtsauffassung darstellen. Die Rechtslage ist ungeklärt, da es bislang noch keine Rechtsprechung dazu gibt. Eine Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Darstellung kann nicht übernommen werden! Die Muster können keine individuelle Rechtsberatung ersetzen. Für eine kostenpflichtige individuelle Rechtsberatung kontaktieren Sie mich bitte über: rohring@kanzlei-rohring.de 

Musterschreiben für Anschreiben an behandelnden Arzt, der die Ausstellung eines Kontraindikationsattestes ablehnt

Sehr geehrte(r) Herr/Frau Dr. [Name],

ich verstehe Ihre Bedenken, ein Kontraindikationsattest für mein Kind auszustellen, insbesondere da die vorhandenen Vorerkrankungen nicht in der RKI-Liste erscheinen.

Ich bitte Sie dennoch, das Gesundheitsamt um eine klare Stellungnahme zu den Kriterien für Kontraindikationen zu bitten.

Im Anhang finden Sie eine Vorlage für ein Schreiben, das Sie an das Gesundheitsamt senden können.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Antwort des Gesundheitsamtes weiterleiten könnten, um sie gegebenenfalls einer rechtlichen Überprüfung zu unterziehen.

Könnten Sie mir bitte auch schriftlich bestätigen, dass Sie aufgrund der unsicheren Rechtslage aktuell nicht in der Lage sind, ein Kontraindikationsattest auszustellen und dass Sie eine Anfrage an das Gesundheitsamt geschickt haben?

Dies können Sie mir auch gerne handschriftlich auf diesem Schreiben bestätigen.

Vielen Dank !

Mit freundlichen Grüßen,
[Ihr Name]


Anlage: Anfrage Arzt an das Gesundheitsamt bezüglich Kontraindikationen


Absender: Briefkopf Arztpraxis 

An:

zuständiges Gesundheitsamt

Sehr geehrte Damen und Herren,

als Facharzt für ____________ stehe ich immer wieder vor der Herausforderung, Anfragen von Patienten oder deren Eltern bezüglich des § 20 IfSG und der damit verbundenen Pflicht zum Masern-Impfnachweis zu bearbeiten.

Diese Anfragen beinhalten oft den Wunsch nach einem Kontraindikationsattest aufgrund spezifischer Bedenken.

Die rechtliche Definition von „Kontraindikation“ ist vom Gesetzgeber nicht klar festgelegt worden. Gleichzeitig gibt es Medienberichte über Ärzte, die für das „Ausstellen falscher Gesundheitszeugnisse“ mit erheblichen Strafen belegt wurden. Unter Ärzten ist es inzwischen allgemein bekannt, dass nahezu jedes ausgestellte Kontraindikationsattest potenziell strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Dieser Zustand ist aus meiner Sicht höchst problematisch. Es besteht eine erhebliche Unsicherheit darüber, welche Faktoren bei der Ausstellung eines Kontraindikationsattests überhaupt berücksichtigt werden dürfen. Diese Unsicherheit macht es für Ärzte praktisch unmöglich, ohne das Risiko strafrechtlicher Verfolgung solche Atteste auszustellen. Dies steht im Widerspruch zum Ziel des Gesundheitsschutzes der betroffenen Personen und kann im Kontext der staatlichen Schutzpflicht nicht im Sinne des Gesetzgebers sein.

Ich bitte daher um Klärung folgender Fragen:

  1. Verbindlichkeit der RKI-Liste: Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass eine abschließende Liste von Kontraindikationen aufgrund der individuellen Konstitution und Vorgeschichte des Patienten nicht möglich ist. Ist die RKI-Liste dennoch als abschließende Leitlinie zu betrachten?

„Es ist der Eigenart des hiermit angesprochenen Sachgebiets geschuldet, dass der Gesetzgeber mögliche medizinische Kontraindikationen – abgesehen von einer frühen Schwangerschaft (vgl. § 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG) – nicht aufführt, da diese nur anhand der jeweiligen individuellen medizinischen Vorgeschichte und Konstitution und den danach bestehenden Risiken beurteilt werden können.“

BVerfG 27.04.2022, – 1 BvR 2649/21 -Rn. 145

  1. Medizinethischer Grundsatz „primum non nocere“: Hieraus abgeleitet ist in unklaren und Verdachtssituation, wenn die Möglichkeit eines Schadens durch die Behandlung besteht, von dieser Behandlung (ggf. vorläufig) abzusehen.Wie ist dieser Grundsatz im Kontext der Kontraindikationsbeurteilung zu interpretieren? Muss bei Zweifel an möglichen negativen Folgen der Impfung von dieser abgesehen werden?
  1. Frage zur Risikoprognose bei medizinischen Ungewissheiten:
    Wie sollte ich bei der erforderlichen Risikoprognose im Kontext der Kontraindikationsbeurteilung mit medizinischen Unsicherheiten umgehen? Zum Beispiel, wie ist ein Verdacht auf eine vorangegangene schwere Impfreaktion zu behandeln, der entweder noch in der Klärung ist oder sich als nicht aufklärbar erweist?
  1. Beurteilungs- und Einschätzungsspielraum: Gibt es einen weiten Beurteilungs- und Einschätzungsspielraum für den attestierenden Arzt?
  2. Frage zu psychischen Folgewirkungen:
    Sind psychische Auswirkungen, die sich bei Dritten (meist Eltern mit ausgeprägten Impfängsten) als indirekte Folge einer faktisch erzwungenen MMR-Impfung einstellen können, in der Beurteilung zu berücksichtigen?

Ich danke Ihnen im Voraus für Ihre Unterstützung und freue mich auf Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen,
[Arztname]